Der ideologische Ansatz

Die Kausalität und das Schaffen von Möglichkeiten

Wenn von der Kunst gesprochen wird, die versucht, trotz der enormen Anzahl schon vorhandener Sujets Neues zu entwickeln, gehören drei Ansätze dazu, sie zu verwirklichen:
der ideologische, der konzeptionelle und der handwerkliche Ansatz.
Der konzeptionelle Ansatz zu den Arbeiten von Max Stiller wird in den Texten zur Raumgeometrie beschrieben. Der handwerkliche findet seinen Niederschlag auf dem Malgrund, angefangen bei der Erzeugung des Untergrundes für den Farbauftrag bis hin zum fertigen Bild.
Den ideologischen Ansatz an die Öffentlichkeit zu tragen ist immer mit gewissen Vorbehalten verbunden, wenn das Werk anderer Künstler als Inspirationsquelle initiiert. Der Schaffende wird kategorisiert und in vorhandene Klischees hineingedrängt. Unter der Prämisse allerdings, dass es in der Kunstgeschichte mittlerweile anerkannt ist (vielleicht sogar vorausgesetzt wird), dass Kunst auf Kunst aufbaut, soll hier der Versuch unternommen werden, Stillers ideologische Wurzeln zu beschreiben.

Durch das Werk von Lyonel Feininger erschloß sich ihm die Poesie von Prismen und Dreiecken. Er ist einer von zwei Protagonisten, die sein Konzept beeinflussen. Im Unterschied zu ihm arbeitet Stiller jedoch strenger, akribischer, klarer in der Farbe und in der Objektdefinition und er erzeugt eine sichtbar andere Raumordnung. Sein Ansinnen ist es, grundsätzlich in der Tradition streng formulierter Bildsprachen seinen Ausdruck zu finden und der Bezug zu Feininger wird dabei nur in einem Teil hergestellt.

Der zweite Protagonist, der weniger durch seine künstlerischen Arbeiten Einfluss nimmt als eher durch seine philosophisch-theoretische Sichtweise, wie man Dinge maltechnisch formulieren könnte, ist Umberto Boccioni.
Einer der Grundgedanken in Boccionis Arbeit ist die Relation und Spannung zwischen Objekt und umgebendem Raum. Er verneint den Begriff der fest definierten Linien und des geschlossenen Körpers. Der Gegenstand soll aufgebrochen werden und gleichsam in den Raum eingehen.

Nun ist es für Stillers Werk weniger von Bedeutung, Boccionis Futuristischem Manifest buchstabengetreu Folge zu leisten. Vielmehr geht es elementar um eigene Interpretationen und um eigene Sichtweisen, wie Gegenstände / Körper / Objekte zerteilt und/oder zusammengefügt werden können. Das zentrale Element hierbei, wie auch schon in den Texten zur Raumgeometrie vermerkt, ist das Dreieck, der Tricubus, Namensgeber des Trigonometrischen Kubismus’.

Letztlich und der Vollständigkeit halber bliebe noch zu bemerken, dass die Forderung der Konkreten Kunst, möglichst präzise zu arbeiten, und der technische Einfluss des Konstruktivismus ebenfalls als unverzichtbare Elemente in den Werken von Max Stiller ihren Niederschlag finden.
Zusammenfassend ist festzustellen: sein ideologisches Konzept umfasst die Erarbeitung einer Synthese zwischen Feiningers Prismaismus und Boccionis futuristischer Hypothese, dass Körper gleichsam in den Raum einfließen sollen. Aus diesem Gedanken heraus Eigenes zu schaffen ist das Ziel.

Es bleibt mir mein Wille, meine Arbeit, das Ringen um Verwirklichung – auf Talent kann ich weniger als jeder andere Anspruch erheben. Wie bin ich mir dessen bewusst! Es ist auf Leben und Tod, mein weiterer Weg. Weisst Du, wenn ich male, muss ich mit ganz anderen Energien arbeiten, als der Begabte. Mir fehlt jedes ‘malerische’ als solches. Es kann nur das Ganze gelten, das Bild als Teil des Ganzen. Es steht so ein Biest von Bild auf der Staffelei – das habe ich unerbittlich vorgehabt und erst dann wird’s. Da stürz ich mich mit der Kraft eines Panthers darüber her und erzwinge das Gesetz und richte unbarmherzig, und dann kann’s werden. Selten wohnen Unfähigkeit und Wille so nebeneinander im selben Menschen. Und ich bin fast allein mein eigenes Mass für die Dinge – ich wandele über Abgründen.

Lyonel Feininger 1919 in einem Brief an seine Frau Julia